Malleus maleficarum - der Hexenhammer

von Alexander Amberg

1487 erschien ein Buch mit dem Titel Malleus maleficarum, zu deutsch: Der Hexenhammer. Dieses üble Machwerk voller Menschenverachtung und Frauenfeindlichkeit entstammt der Feder der Dominikaner Jakob Sprenger und Heinrich Institoris. In drei Teilen schufen die beiden Inquisitoren die Grundlage für folgende Generationen von Hexenjägern. Was für spätere Pogrome charakteristisch sein sollte, findet sich bereits hier: die Verbindung von mittelalterlichem Volksglauben und neuzeitlicher Systematik.

Die Autoren betonen, dass sie sich auf überliefertes Wissen stützen, lediglich die Methode sei ihre eigene. Sie waren es, die verbreiteten, der Teufelspakt sei Voraussetzung jeder Hexerei. Im zweiten Teil dieser unmenschlichen Schrift gehen sie auf achtzehn zum Teil obskure Arten der Hexerei ein und nennen Mittel, wie man sich dagegen schützen kann. Der dritte Teil schließlich ist als Handbuch konzipiert und entstammt der grässlichen Praxis dieser Unmenschen. Er beschreibt minutiös den Ablauf eines Inquisitionsprozesses in Form eines Ratgebers, von der Verhaftung über die peinliche Befragung bis hin zum Richterspruch. Dass dabei eine Verteidigung nicht vorgesehen ist und der Prozess stets mit dem Tod des oder der Angeklagten endet, muss nicht hervorgehoben werden.

Gerade der Handbuchcharakter war es, der dem „Hexenhammer“ so großen Erfolg bescherte. Hier soll nicht mehr als unbedingt nötig auf dieses abscheuliche Buch eingegangen werden. Leider können wir es nicht ganz umgehen.

Achtzehn Arten der Hexerei führen die eifrigen Mönche im zweiten Teil ihres Machwerks auf, und zwei Wege, sich davor zu schützen. Einmal gibt es da die Prävention, und dann die tatsächlichen Gegenmittel. Im folgenden will ich dies erläutern, damit der Leser oder die Leserin ein Bild davon bekommt, was in den Köpfen fanatischer Geistlicher die „Hexerei“ eigentlich ausmachte.

Dass es diesen frommen Brüdern vor allem um Sexualität ging, kann man sich unschwer denken. Um zu ermessen, wie krank die Hirne waren, die diese Schrift erstellten, Anweisungen zum Inquisitionsprozess gaben und nach ihnen handelten, braucht man kein Psychiater zu sein. Es versteht sich beinahe von selbst, dass sie Impotenz auf Zauberei zurückführten. In Italien soll es übrigens heute noch geschehen, dass Männer, wenn sie einer Nonne begegnen, die Hand in die Hosentasche stecken, um ihre edelsten Teile zu schützen. Nicht wenige überkreuzen dabei Zeige- und Mittelfinger – das Zeichen gegen den bösen Blick. Ob diese Geste tatsächlich von der Bewegung herrührt, mit der Jäger sich schützten, wenn sie von einem Wolf angegriffen wurden, sei dahingestellt. Manche jedenfalls sehen in den überkreuzten Fingern die stilisierte Nachahmung des hochgerissenen Armes, den der Jäger schützend um die eigene Kehle legt, um den angreifenden Wolf am tödlichen Biss zu hindern.

Auf vielerlei Art versuchen Jakob Sprenger und Heinrich Institoris, diese ihre These von der Impotenz wissenschaftlich zu begründen. Etwas ausgefallener mutet da schon an, wenn sie sagen, Hexen seien in der Lage, das männliche Glied wegzuhexen. Sie führen eine Reihe von Fällen an, in denen derart Behexte - meist junge Männer - sich an einen Priester wandten, der mit eigenen Augen - eben nichts sah. Ein solches Missgeschick ließ sich aber meist dadurch beheben, dass man die Hexe dazu bewegte, den bösen Zauber wegzunehmen - sei es durch gute Worte, List oder brutale Gewalt. Letztere obsiegte meist. Keine Frage, dass die Unglücklichen, denen eine solche Katastrophe widerfahren war, die Verursacherin ihres Missgeschicks oft recht gut - soll ich sagen: intim? - kannten. Die Sache wurde natürlich dadurch vereinfacht, dass es sich in solchen Fällen um eine Illusion handeln musste, der auch die prüfenden Gottesmänner erlagen; denn in der Regel war eine solche Entdeckung, oder sollte man es Fehleinschätzung nennen, zwar mit einer gehörigen Portion Schrecken, nicht aber mit körperlichen Schmerzen verbunden. Die guten Inquisitoren schildern keinen Fall, in dem das fehlende Glied nicht restauriert werden konnte. Fürwahr, Zauberei!

Ein Kapitel für sich sind die Succubi und Incubi, sogenannte Beischlafteufel. Sie können sowohl sichtbar als auch unsichtbar auftreten. Sprenger und Institoris berufen sich dabei auf verlässliche Zeugen, die meist junge Frauen in verfänglichen Positionen an einsamen Orten angetroffen haben wollen. Eine Quelle berichtet von einer Frau, die auf dem Rücken liegend im Wald gesehen wurde, von Eruptionen geschüttelt, als würde sie Stöße empfangen. Keine Frage, dass es sich um Teufelswerk handelte, das entsprechend geahndet werden musste.

Lassen wir es fürs Erste dabei. Die Linie wird klar. Dass derart gehörnte Ehemänner in heiligem Zorn ihre Frauen anzeigten, dürfte auch verständlich sein. Schließlich waren sie ja die Leidtragenden. Blieb natürlich noch die Schwierigkeit, wie ein derartiger Sex-Teufel an männliches Sperma kam. Schließlich bestand er ja nur aus Luft und Erde, sodass in seiner Daseinsform kein Platz für Körperflüssigkeiten blieb. Aber auch dafür hatten die Gottesmänner eine Erklärung parat. Der Incubus zapfte den begehrten Samen einfach ab! Seinem Einfallsreichtum waren dabei keine Grenzen gesetzt. Nächtliche Ejakulationen waren selbstredend ausgenommen: Sie wirkten ja irgendwie reinigend, weil sie weder der Zeugung noch der Sünde dienten.

Auf weitere Details dieses sexuellen Wahnes will ich hier nicht näher eingehen. Die traurige Tatsache bleibt jedoch bestehen, dass aufgrund solcher unausgegorener Phantasien zahllose Frauen in den Feuertod gehen mussten. Wer hat diese armen, gequälten Geschöpfe jemals rehabilitiert? Und wer würde daran denken, über ihren Henkern den Stab zu brechen?

 

Der Fall Eva Schmehlich - die Hex’ muß brennen

Da ist einmal der Prozess gegen Eva Schmehlich aus Neunkirchen. Achim R. Baumgarten berichtet von diesem Fall in Hexenwahn und Hexenverfolgung im Naheraum.1. 1630 übergab man die Unglückliche dem Scharfrichter.

Dieser Prozess stand am Ende einer Reihe von Verfahren wegen Hexerei. Über die acht vorhergehenden Verhandlungen existieren keine Unterlagen mehr. Aus den erhaltenen Dokumenten lässt sich ersehen, dass die Eva Schmehlich von den vorher Abgeurteilten denunziert worden war, eine Hexe zu sein. Die Beschuldigung wurde von den anderen „Hexen“ im Angesicht des Todes aufrechterhalten, was in der damaligen Praxis der Urteilsfindung einen hohen Stellenwert einnahm. Für den Vorwurf der Hexerei sprach zudem, dass die Angeklagte zu einem zurückliegenden Zeitpunkt die Anschuldigung, eine Hexe zu sein, nicht von sich wies. Seinerzeit ein wichtiges Kriterium der Schuld, sozusagen ein Geständnis, denn Worte schufen Tatsachen. Wer als Hexe bezeichnet wurde, war eine, wenn der Vorwurf nicht zurückgewiesen wurde.

Als Folge der Anklage wurden der Beschuldigten von „Zeugen“ Verhaltensweisen vorgeworfen, die vierzehn Jahre zurücklagen. Aus den Aussagen schließt Baumgarten, dass in Wahrheit wahrscheinlich versuchte homosexuelle Unzucht mit der Magd als Tat vorlag2, keinesfalls jedoch Hexerei.

Der Folterknecht, der der Eva Schmehlich das Geständnis abringen sollte, schien von den Misserfolgen der vorangegangenen Prozesse enttäuscht gewesen zu sein. So entschied er sich nicht für das langsame Steigern der Foltermethode, sondern griff sofort zur sogenannten ‘Elevation’3 und zerquetschte beim dritten Aufzug die Zehen der Eva Schmehlich mit einer Daumenschraube. Beim vierten Aufzug verstärkte er den Zug auf die Arme, indem er sich auf eine Stange stellte, die ihr zwischen die Beine gebunden worden war.

Den Folterungen hielt sie nur einen Tag stand. Das Geständnis war umfangreich.

Eva Schmehlich gestand einen Seitensprung, der wahrscheinlich tatsächlich stattgefunden hatte, und sagte aus, es wäre der Teufel gewesen, mit dem sie sich vereinigt habe. Die Hochzeit mit dem Gehörnten wurde auf dem Peterberg vollzogen. Dabei gab es kein Brot und Salz, und das Fleisch schmeckte unnatürlich.

Später beschuldigte sie sich weiterer Akte der Hexerei. Alles tatsächliche Geschehnisse und Unglücksfälle, die sie verursacht zu haben behauptete.

Die Namen von „Mittätern“ gab sie ebenfalls zu Protokoll. Dabei handelte es sich um verstorbene bzw. schon verurteilte Bekannte, aber auch mit großer Sicherheit um Verleumder, die sie mit ins Unglück reißen wollte.

Am 26. April 1630 wurde das Urteil - Erdrosseln und anschließende Verbrennung des Körpers - verkündet und vollstreckt.

Ungereimtheiten in den Aussagen und offensichtliche Widersprüche wurden in dem Verfahren ignoriert.

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In Hexenprozessen finden sich typische Handlungsmuster wieder. Häufiger Anlass für die Anklage als Hexe war die Beschuldigung durch bereits verurteilte Hexen. Die Anklage - im Angesicht des Todes aufrechterhalten - wog doppelt schwer.

Zum einen war eine verurteilte Hexe eine authentische Zeugin, die unter der Folter und im Angesicht der Strafe nicht in der Lage war zu lügen. So dachte man. Erhielt sie die Beschuldigung noch vor der Hinrichtung aufrecht, bestätigte das die „Echtheit“ der Aussage, da die Hexe ja nichts mehr zu verlieren hatte und eigentlich ihre Mittäter schützen könnte. Es bestand also kein Grund, die Unwahrheit zu sagen. Im Gegenteil: Mit Wahrheit und Reue eröffnete sich die Hexe die Möglichkeit, Gottes Gnade und Einzug in sein Reich zu finden.

Was sollte die Menschen der frühen Neuzeit also Glauben machen, die Gefolterte sage die Unwahrheit?

Zum zweiten führte die Magie der Sprache dazu, dass das gesprochene Wort Tatsachencharakter erhielt. Sprach man aus, eine Frau sei eine Hexe, so war sie es auch. Diesem Denken können wir heute nur schwer folgen. Man muss jedoch um diese Tatsache wissen, um ein tieferes Verständnis für die Bedeutung solcher Anklagen zu erhalten.

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Vom Unfug des Hexenprozesses

Kritik am furchtbaren Treiben der Hexenjäger übte der Jesuit Friedrich von Spee (1591-1635). Als Seelsorger begleitete er viele ihrer unglücklichen Opfer in die Folterkammer und schließlich zum Scheiterhaufen. In keinem Bericht über ihn fehlt die Anekdote von dem jungen Mann, der ihn fragte, warum seine Haare bereits grau seien, obwohl er doch noch gar nicht so alt sein könne. „Wegen der Hexen“, soll Spee geantwortet haben. Denn während seiner gesamten Laufbahn sei ihm unter allen Gefolterten und Verurteilten keine einzige der Hexerei schuldige Frau untergekommen.

1631, mitten im Dreißigjährigen Krieg, erschien seine Cautio Criminalis bei dem protestantischen Buchdrucker und -händler Peter Lucius in Rinteln an der Weser, anonym und ohne das Imprimatur seiner Ordensoberen.4 Aus reiner Menschlichkeit handelte Spee sich eine Menge Ärger ein. 1633 wurde er von Köln nach Trier versetzt, wo er an der Universität Moraltheologie und Exegese lehrte. Dort starb er 1635, nachdem er sich bei der Versorgung pestkranker Soldaten angesteckt hatte. Er wurde in der Krypta der Trierer Jesuitenkirche beigesetzt. Erst 1980 wurde sein Grab wiederentdeckt.

Friedrich von Spee war nicht der Erste, der Kritik an der Praxis der Hexenverfolgung übte. Vereinzelt traten Kritiker schon im 16. Jahrhundert auf. Aber er war es, der der Kritik zum Durchbruch verhalf, auch mit dem Hinweis, dass auf der Folter erzwungene Geständnisse wertlos seien.5 Johannes Matthäus Meyfart brachte eine freie Bearbeitung der Cautio Criminalis heraus (1635), Balthasar Bekker (1634-1698), ein reformierter niederländischer Pfarrer, trat in mehreren Werken Hexenprozessen und Aberglauben entgegen. Beide wurden vielfach angefeindet, Bekker gar 1692 seines Pfarramtes enthoben.

Erst Christian Thomasius (1655-1728) leitete das Ende all dessen ein. Als Vertreter des Naturrechts und der Aufklärung setzte er sich für die Abschaffung der Folter ein oder doch zumindest für deren maßvolle Handhabung. Als Vertreter eines innerlichen Christentums kam er zu dem Schluss: Hexenprozesse sind unmöglich.

Hexenprozesse sind unmöglich, folgerte Thomasius, denn wenn ein Irrtum einen Mangel an Verstand bedeute und Ketzerei ein Irrtum sei, dann sei sie eben keine Frage des Willens und somit keine Bosheit. 1703 und 1704 brachte sein Schüler Johann Reiche in Halle, wo Thomasius lehrte, die Unterschiedlichen Schriften vom Unfug des Hexenprozesses heraus, die sich auf Spees Cautio Criminalis stützten. 1704 ging Thomasius mit seinen Kurtzen Lehr-Sätzen Von dem Laster der Zauberey (Halle 1704) an die Öffentlichkeit, die zwar nicht die Existenz des Teufels, wohl aber dessen Fähigkeit, körperliche Gestalt anzunehmen, bestritten. Damit waren sowohl der Beischlaf als auch der Pakt mit ihm Dinge der Unmöglichkeit.

Der Aufklärung blieb es vorbehalten, die Hexenprozesse abzuschaffen. Wesentliche Voraussetzungen dazu waren die Abschaffung der Folter und religiöse Toleranz. Im Königreich Preußen setzten Friedrich I. (1688-1713) und sein Sohn Friedrich Wilhelm I. (1713-1740), der Soldatenkönig oder Alte Fritz, dem Treiben ein Ende, Letzterer indem er die Entscheidung über Hexenprozesse durch ein Edikt von 1714 an sich zog. Friedrich II. (1740-1786) schließlich schaffte mit seinem Regierungsantritt 1740 die Folter in Preußen ab. Schon seit 1672 wurden in Frankreich Todesstrafen wegen Hexerei regelmäßig in Verbannung umgewandelt. 1779 hob in Schweden Gustav III. die Todesstrafe für das Vergehen der Zauberei auf. In den Niederlanden, wie könnte es anders sein, gab es im 18. Jahrhundert keine Hexenprozesse mehr. In England hob 1736 ein Act of Parliament James I.’ Statut über Zauberei auf. Im Süden und Westen Deutschlands dauerte es etwas länger, bis die Vernunft um sich griff. Noch bis 1752 loderten in Ungarn die Scheiterhaufen, 1746 wurde in Siebenbürgen die letzte Hexe verbrannt. Maria Theresia (1740-1780) setzte den Hexenverfolgungen in ihren Ländern ein Ende. Ihr Sohn Joseph II. (1780-1790) schließlich humanisierte das gesamte Rechtswesen.

Aber noch 1749 wurde in Würzburg eine alte Frau wegen Hexerei zuerst geköpft und dann verbrannt. Am 30. März 1775, ein Jahr vor der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, wurde im Reichsstift Kempten eine junge Frau verbrannt. Wie die meisten Opfer entstammte sie der Unterschicht. 1782 wurde im schweizerischen Glarus eine Dienstmagd hingerichtet, 1793, schon während der französischen Revolution, im polnischen Posen zwei alte Frauen verbrannt. Die Urteilsbegründung: Sie hätten entzündete Augen gehabt und das Vieh des Nachbarn sei ständig krank gewesen.

1793 also fand die letzte Hexenverbrennung statt. Die letzte aktenkundige! Sind wir damit am Ende angelangt? Bei Weitem nicht. Schwaiger folgert:

Die Hexenprozesse von Glarus (1782) und Posen (1793) - beide mit Vollstreckung des Urteils - sind die beiden letzten bekannten Hexenprozesse und Hexenhinrichtungen im mittleren Europa. Der Hexenwahn freilich war mit dem 18. Jahrhundert keineswegs erloschen. Im Aberglauben lebte der Zauberwahn in vielfacher Gestalt durch das 19. und 20. Jahrhundert weiter - und fordert in sektiererischen, krankhaften Zirkeln gelegentlich bis in die Gegenwart herein noch blutige Opfer. Der Glaube an Schadenzauber und Tierverwandlungen ist auch in der Gegenwart in vielen Regionen der Welt noch stark verbreitet.6

Dem kann man nur zustimmen. Mir selbst begegnete im Jahr 1993 in meiner Praxis als Journalist eine Frau, die mir im Brustton der Überzeugung versicherte, im pfälzischen Rülzheim gäbe es ein Hexenhaus. Bereits der vierte Bewohner in Folge sei eines unnatürlichen Todes gestorben. Zuletzt habe sich ein vierzehnjähriger Junge erhängt. Doch ist auch Schwaiger der Kritik ausgesetzt. Denn eine Tat als krankhaft und somit den oder die Täter als krank zu bezeichnen, ist nach unserem Recht ein mildernder Umstand. Wer die Tat eines Mörders als krankhaft bezeichnet, gesteht ihm eine Entschuldigung zu. Doch diese Entschuldigung gibt es nicht. Denn wie wir gesehen haben, hatte der Wahnsinn Methode.

Es gibt anthropologische Konstanten. Jede menschliche Gesellschaft lehnt Mord ab, wenigstens de jure; und wenn das Leben einen Wert darstellt, ist dies einer der Grundwerte, die kein Mensch anzweifeln kann, sei die Gesellschaft, in der er lebt, auch noch so orientierungs- und wertelos. Die Opfer verdienen unser Mitleid. Vielleicht auch die Täter. Doch entschuldigen können wir sie nicht.

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Lang war der Kampf gegen Irrglauben und Massenwahn. Wo der Wahnsinn Methode hat, kann die Vernunft sich nun einmal nur schwer durchsetzen. Es war der Kampf Einzelner gegen ein unmenschliches System. Er wurde mit der Feder ausgetragen, einem allzu zerbrechlichen Instrument. Die Reform des Rechts war nur die Begleiterscheinung einer weit wichtigeren Reform: der des Bewusstseins nämlich.

Umso schlimmer mutet es heutzutage an, wenn wir vor ähnlichen Erscheinungen stehen und statt Akte der Menschlichkeit oder doch wenigstens der Vernunft nur das Handeln blinder Ideologen sehen. Mord und Vertreibung gibt es zur Genüge auf der Welt - jetzt, zu dieser Stunde. Man muss nicht die Massaker in Bosnien heranziehen oder blutige Bürgerkriege in Afrika oder Asien bemühen, um das zu illustrieren. Genauso schlimm aber ist das Klima, das in scheinbar friedlichen Ländern herrscht. Stammtischideologen erweisen sich - zumindest dem Wort nach - oft als nicht weniger unmenschlich als tatsächliche Schlächter. Das Klima der geistigen Brandstiftung ist hier. Achten wir ein bisschen darauf. Unsere Trauer macht niemanden wieder lebendig und erlöst keinen Gefolterten und keine Gefolterte von seinen oder ihren Qualen. Aber sie ehrt die Opfer und sie kann eines tun: den Anfängen wehren.

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1 nach Baumgarten, Achim R., 1987, Hexenwahn und Hexenverfolgung im Naheraum. Ein Beitrag zur Sozial- und Kulturgeschichte, Frankfurt am Main, Bern, New York, Paris, S. 43 ff.

2 In der Peinlichen Halsgerichtsordnung war dafür die Todesstrafe vorgesehen, also im wesentlichen das gleiche Strafmaß.

3 'Elevation': Mittels einer Seilwinde wird das Opfer an den Armen nach oben gezogen. Die Arme werden zuvor hinter dem Rücken zusammengebunden. Beim 'Aufzug' werden dann die Sehnen überdehnt und die Schultergelenke ausgekugelt. Verschärft wurde die Folter durch Elevation, indem Gewichte an den Beinen des Opfers festgebunden wurden. In seiner eigentlichen Bedeutung meint 'Elevation' die Erhebung der Hostie und des Kelches durch den Priester während der Messe.

4 Vgl. Alexander Loichinger, „Friedrich von Spee und seine’Cautio Criminalis’“, pp. 128ff., in: Schwaiger, Georg (Hg.), Teufelsglaube und Hexenprozesse (München 1988), pp. 128-149.

5 Vgl. Georg Schwaiger, „Das Ende der Hexenprozesse im Zeitalter der Aufklärung“, pp. 154ff., in: Schwaiger (Hg.), Teufelsglaube und Hexenprozesse (München 1988), pp. 150-179.

6 Op. cit., p. 178.