Halloween H 20

Es ist mal wieder kurz vor knapp. Habe heute gearbeitet, obwohl Samstag ist. Was tut man da am Abend? Klar, zur Feier des Tages schleppe ich Dorthe ins Kino. Natürlich läuft „Halloween H 20 - 20 Jahre später“, die sechste Fortsetzung eines ehemals erfolgreichen Films. Ich hoffe auf ein bisschen Spannung, Dorthe auch. Sie hat keinen einzigen der Halloween-Streifen gesehen und mag es nicht so, wenn Blut fließt.

Gleich die erste Szene zeigt eine Frau - die ehemalige Sprechstundenhilfe des Psychiaters, der vor Ewigkeiten Michael Myers untersuchte. Sie kommt, eine Zigarette im Mund, nach Hause und findet die Tür, die sie abgeschlossen hatte, offen vor. Was tun? Sie wendet sich an zwei Jungen aus der Nachbarschaft, von denen der eine sofort mutig und mit erhobenem Hockeyschläger das Haus durchsucht. Er findet - nichts. Stattdessen richtet er in der Küche ein Chaos an, weil er vor seinem eigenen Schatten erschrickt und blindlings um sich schlägt. Als ihm aus dem Kühlschrank eine Flasche Alkohol entgegenlacht, klaut er sie kurzerhand, um sie mit seinem Freund zu trinken.

Spätestens da war mir klar, dass er sterben musste. Denn einen guten amerikanischen Jungen hätte der Regisseur Steve Miner nicht seinem Killer ausgeliefert. Anders verhält es sich bei einem Dieb. Und auch die Tage der Zigarette rauchenden Frau müssen gezählt sein, dachte ich mir.

Tatsächlich kam es so. Weil sie es in ihrer leeren Wohnung mit der Angst zu tun bekommt, wendet sich unsere Raucherin erneut an die Nachbarjungen. Diesmal möchte sie bei ihnen auf das Eintreffen der Polizei warten, die nach guter amerikanischer Tradition eines mit der Kavallerie gemeinsam hat: Sie kommt immer zu spät.

So auch jetzt: Die gute Frau betritt das Nachbarhaus (ich flüstere Dorthe zu: „Mach’ die Augen zu!“) und findet, was ich erwartet habe, nämlich nicht die beiden Jungen beim Saufgelage, sondern ihre Leichen. Der Killer ist auch noch da, und die Kamera blendet keine Millisekunde ab, um ja nichts zu verheimlichen.

Natürlich hat Myers vorher das Haus der verblichenen Sprechstundenhilfe durchsucht und die Unterlagen gefunden, die ihm Aufschluss geben über den Verbleib seiner Schwester Laurie (eine etwas reifer gewordene Jamie Lee Curtis, die schon im ersten Streifen 1978 mitspielte), die ihren Namen geändert hat und jetzt als Direktorin einer Schule in der US-amerikanischen Provinz versucht, das Grauen zu vergessen respektive die Erinnerung im Alkohol zu ertränken. Mit einem düsteren, schwarzen Amischlitten macht Myers sich auf den Weg. Schnitt.

Eine junge Frau fährt mit ihrer klapprigen alten Karre einen Parkplatz an, weil das kleine Töchterchen mal muss. Leider ist die Damentoilette abgeschlossen, sodass als Ausweg für beide nur das Herrenklo bleibt. Frau schaut sich um. Weit und breit nichts zu sehen, also wird das Töchterchen in die eine Kabine gesetzt, während Mutti sich nebenan einschließt. Schnitt. Draußen auf dem Parkplatz hält ein düsterer schwarzer Amischlitten. Schnitt.

Wir sind jetzt bei der jungen Mutter auf dem Klo. Schwere Schritte nähern sich, ein Schatten wird an dem doch recht breiten Schlitz unter der Tür sichtbar. Eine Hand greift herein, fingert nach der Handtasche, die leichtsinnigerweise von außen sichtbar sein muss, und verschwindet wieder mitsamt dem Utensil. Stille. Frau hält den Atem an. Dorthes Hand krampft sich um meine. „Keine Angst“, flüstere ich ihr zu, „ihr passiert nichts.“ Das weiß ich mit Sicherheit. Aber schon im nächsten Moment zerreißt ein gellender Schrei die Stille. Töchterchen ist in Gefahr. („Kann nicht sein“, denke ich, „höchstens eine Spinne oder eine Maus.“) Trotz ihrer Angst reißt die junge Mutter die Tür auf, stürzt in die Nebenkabine und sieht - eine dicke, fette Spinne, vor der die Kleine sich erschreckt hat. Unterdessen tuckert Michael Myers mit dem klapprigen Auto der jungen Mutter vom Parkplatz, seinem Ziel in der Provinz entgegen.

Durchsichtig und vorhersagbar wie schon lange kein Film mehr, ohne jede Spannung war „Halloween H 20“ - für mich wenigstens, denn ich habe Norbert Stresau gelesen, Der Horrorfilm, Von Dracula zum Zombieschocker, hg. von Bernhard Matt (München 1987), S. 151ff. Dort erklärt Stresau das implizite Regelsystem des Splatterfilms, das ein eng umgrenztes Wertesystem spiegelt. In Halloween verbirgt sich der erhobene Zeigefinger zwar hinter Szenen sinnloser Gewalt, ist aber gleichwohl vorhanden. Um es auf einen Nenner zu bringen: Wer nächtens knutscht, wer klaut oder raucht, wird gekillt. Wer säuft - wird gekillt. Schielt man ‘rüber zu Filmen wie Freitag 13., könnte man die Reihe erweitern: Wer einen Joint raucht oder nackt badet, wird gekillt. Und auch die emanzipierte Frau - wird gekillt.

Spätestens jetzt dürfte klar sein, dass für Mutter und Tochter auf dem Klo, auch wenn es das Herrenklo war, zu keiner Zeit eine wirkliche Gefahr bestand. Während des gesamten Filmes war es möglich, das Schicksal einer jeden Figur im voraus zu bestimmen. Das junge Pärchen, dessen sexuelle Freizügigkeit nur verbal besteht, hat keine Chance, seine amourösen Pläne in die Tat umzusetzen, weil der Sittenwächter mit dem Messer wartet. Der Internatspsychologe, der seinen Zöglingen zu viele Freiheiten einräumt, schränkt seine Lebenserwartung damit drastisch ein, während der schwarze Pförtner die Jugendlichen zwar entgegen den Anweisungen der Direktorin (Jamie Lee Curtis) vom Gelände lässt, jedoch nicht ohne sie ausgiebig zu ermahnen. Und die Liebesromane, die er während der Arbeitszeit schreibt und seiner Frau am Telefon vorliest, mögen zwar schauderhaft sein, sind jedoch kein Grund, ihn umzubringen.

Am Ende erledigt Jamie Lee Curtis den Killer - toter geht’s nicht, könnte man sagen. Nachdem Michael Myers aus dem Fenster gestürzt und wirklich tot ist, holt Jamie Lee Curtis die Polizei. Als diese die Leiche in einem Plastiksack verstaut und zum Abtransport im Krankenwagen untergebracht hat, klaut Jamie Lee Curtis das Vehikel, um auf Nummer sicher zu gehen. Tatsächlich krabbelt Michael nochmal aus seinem Sack. Der Kerl ist einfach nicht umzubringen.

Jamie Lee Curtis bremst, Michael wird durch die Windschutzscheibe geschleudert. Sie überfährt ihn, stürzt mit ihm auf der Stoßstange einen Abhang hinunter, wobei Michael Myers zwischen dem Auto und einem Baum eingeklemmt wird. Zu guter Letzt steht Jamie Lee Curtis vor ihm, Axt in der Hand. Der schwerverletzte Michael streckt bittend die Finger nach ihr aus, die beiden sehen einander in die Augen, und in einem Akt obszöner Selbstjustiz enthauptet Jamie Lee Curtis das Monster.

Fertig. Aber ist das das Ende? Was ist in der Zeit geschehen, in der Jamie Lee Curtis die Polizei holte und Michael Myers unbeobachtet ließ? Vielleicht fällt den Machern ja eine Lösung ein wie in Das Schweigen der Lämmer. Denn da der Killer eine Maske trägt, wissen wir letztlich nicht, wer da enthauptet wurde. Und da Jamie Lee Curtis in diesem Film außerdem als Trinkerin gezeigt wird, ist es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis in einem zukünftigen Halloween-Streifen auch sie dem debilen Rächer zum Opfer fällt (es sei denn, das Saufverbot im Splatterfilm gilt nur für Jugendliche).

Die Linie wird klar. Es geht um ein reichlich puritanisches Wertesystem, das hier ex negativo vermittelt wird, verhüllt durch Darstellungen billiger Gewalt, in denen Signifikat und Signifikant einander gleichgesetzt sind. Mit anderen Worten. Was gezeigt wird, ist das Dargestellte. Das Monster tötet jedoch nicht wahllos, sondern mit System. Die Gedankengänge, die dahinter stehen, sind das eigentlich Erschreckende an dem Film.

Halloween H 20 USA 1998. Produzenten: Malek Akkad (associate), Moustapha Akkad (executive) et al. Regie: Steve Miner. Darsteller: Jamie Lee Curtis, Adam Arkin, Josh Hartnett, Michelle Williams, Chris Durand.

Alexander Amberg