Peter Straub: Der Hauch des Drachen

Bei Peter Straub weiß man nie genau, ob man es nun mit reinem Horror oder eher mit Phantastik zu tun hat. Aber das ist auch völlig gleich, denn spannende Unterhaltung sind seine Romane allemal. So auch „Der Hauch des Drachen“, Originaltitel: „Floating Dragon“ (1983). Was wie ein Thriller um einen Chemieunfall beginnt, entwickelt sich zu einer wahrhaft haarsträubenden Geschichte.

Denn was in dem beschaulichen Städtchen Hampstead in Connecticut geschieht, reicht zurück in die Zeit der Besiedlung Neuenglands im 17. Jahrhundert. Damals ereigneten sich seltsame Dinge, als ein Farmer namens Gideon Winter das Land seiner Nachbarn an sich riss. Sein Spitzname lautete: „der Drache“.

Der Zufall führt den Architekten Richard Albee und den versoffenen alten Schriftsteller Graham Williams, zugleich der Erzähler weiter Passagen des Romans, Patsy McCloud, eine von ihrem Mann misshandelte Hausfrau, und den Jungen Tabby Smithfield zusammen. Die vier haben eines gemeinsam: Sie sind die jeweils letzten Nachkommen der ersten Siedlerfamilien, die im frühen 17. Jahrhundert mit Gideon Winter zu tun hatten, und sie alle sind mit mehr oder weniger ausgeprägten hellseherischen und telepathischen Fähigkeiten „gesegnet“.

Der Wahnsinn hält Einzug in Hampstead und verwandelt die amerikanische Kleinstadtidylle in ein Schreckensszenario. Aber es kommt, wie es kommen muss: Die vier Streiter treten an zum Showdown mit dem Drachen.

Peter Straub gelingt es, geschickt zwischen den Genres zu manövrieren. Das Unheimliche, Phantastische, ist zwar da, dennoch gelingt dem Autor stets die Rückkopplung an die Realität; denn zur Not erklärt die Psyche seiner Figuren so einiges. Peter Straub lässt Imagination und Realität so miteinander verschmelzen, dass der Leser die Logik seiner Handlung nicht infrage stellt. Straub schafft plastische Charaktere, die beinahe ein Eigenleben gewinnen, sodass der Leser sich auf weiten Strecken mit ihnen identifiziert. Und wer das Buch erst einmal aufgeschlagen hat, legt es so schnell nicht mehr aus der Hand.

Alexander Amberg